Alle Beiträge von Manfred Alter

Taxi-Fahrer_innen bewegen sich

Selbstorganisation und lokale Basisgewerkschaften entstehen in Kassel, Berlin, Bremen, Hamburg, Würzburg!

 

In Kassel gibt es seit seit September 2012 eine kleine Weltneuheit zu besichtigen: Der neu gewählte Betriebsrat des Taxi-Team Kassel (derzeit 28 Fahrzeuge, ca. 45 abhänging Beschäftige) hat eine Website, die gleichermaßen von den Logos der IWW und ver.di geziert wird (Siehe hier). Denn in dem Gremium sind Mitglieder beider Gewerkschaften vertreten und diese arbeiten offensichtlich konstruktiv an einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Was im Büro von ver.di-Chef Frank Bsirske, einem erklärten Feind kleiner, unabhängiger Gewerkschaften, vielleicht für Magengrummeln sorgt, kann an der Basis durchaus gelingen: Solidarität und Einigkeit im Sinne der Arbeitenden über Organisationsgrenzen hinweg.

(Die erste Berliner Autodroschke des Fuhrunternehmens Emil Thien auf dem Königsplatz. Berlin um 1905)


Wer mit den IWW-Taxi-Kolleg_innen in Verbindung treten möchte, kann das hier tun: eMail an IWW-Taxi-Organizer.

Überhaupt tut sich einiges in der Taxi-Branche. In Berlin blockierte der Berliner Taxi Bund in diesem Jahr den Flughafen Tegel, was die regionale Redaktion der BILD-Zeitung am 25. Juni 2012 schwer empörte (“Warum legen 150 Taxifahrer Tegel lahm?“).

Dass Berlin ein spezielles Pflaster für Proteste ist, wird aus dem Aufruf der Taxi-Kollegen deutlich:

Wir weisen ausdrücklich auf folgendes hin:
– es ist verboten, Waffen, Pyrotechnik und spitze Gegenstände
zur Zeit unserer Protestaktion mitzuführen;
– es ist verboten vermummt zu erscheinen;
– es darf nur dort geparkt werden, wo es ausdrücklich erlaubt ist

(Aufruf hier einzusehen) Taxi-Fahrer_innen scheinen einiges Aggressionspotential zu besitzen, was vermutlich an ihren Arbeitsbedingungen liegt.

Am 23. April 2012 brachte der Berliner Taxi Bund bei einer Sternfahrt ca. 2.500 Fahrzeuge zusammen. Die Angestellten und (Schein-)Selbständigten protestierten mit Streiks und Boykott an den Flughäfen Tegel und Schönefeld gegen die geplante neue Tarifregelung am künftigen “Flughafen Berlin Brandenburg” (siehe Bericht rbb-nachrichten).

Kampf gegen Regime des Bremer Taxi-Ruf

Cottbus 1990: Taxi-Demo gegen Preiswucher (Quelle: bundesarchiv)


Die IG Bremer Taxifahrer vermeldet am 7. September 2012 ein sprunghaftes Wachstum auf ca. 225 Mitglieder. Sie kämpft derzeit vorweigend gegen den “monopolistischen Tourenvermittler” Taxi Ruf Bremen e.V. und dessen Versuche, den Bremer Faher_innen (siehe Pressmitteilungen der IG) das Leben schwer zu machen. Die Bremer Taxistas besitzen nach eigenen Angaben Kontakte zu organisierten Kollegen im Umland, in Lübeck sowie in Hamburg.

Fachverband aktiver Taxifahrer

Die Kolleg_innen aus der Hansestadt Hamburg beschreiben ihre Organisation wie folgt:

Die Besonderheit des HTV – Hamburger Taxenverband e.V. in der Landschaft der Hamburger Taxengewerbe-Verbände ist, dass wir uns als einziger nicht als Unternehmerverband, sondern als Fachverband aktiver Taxifahrer verstehen. Dabei machen wir keinen Unterschied zwischem dem Status “selbstständig” und “angestellt”, weil die meisten der praktischen Probleme, von der Taxenordnung bis zu den Taxiposten, für alle gleich sind.

Sie haben ihre Website im Januar 2012 gestartet (siehe hier). Bereits seit 2009 sind Taxi-Fahrer_innen im Süden Deutschlands aktiv.

Union Busting gegen Taxi-Gewerkschafter in Würzburg

Hinter dem etwas groß dimensionierten Namen “Deutsche Gewerkschaft der Taxi-Faher/-innen” scheint momentan vorwiegend ein Kern von Arbeiter_innen und Selbständigen aus Würzburg zu stehen. Auf ihrer Website berichten sie u.a. von gewerkschaftsfeindlichen Sanktionen und Repressalien gegen ihren Organisierungsversuch, der sie zu einer vorerst verdeckten Organsierung zwänge:

Nachdem gleich in der Gründungsphase der Gewerkschaft DG-Taxi mehrere Gründungsmitglieder von ihren Arbeitgebern mit Kündigungen und sonstigen Konsequenzen bedroht wurden, vertagten wir diverse Aktivitäten, um unsere Unterstützer und Mitglieder zu schützen.

Wir verzichteten darauf, uns als Verein beim Registergericht eintragen zu lassen, weil dazu automatisch mindestens die Gründungsmitglieder über die beim Registergericht zu hinterlegenden Protokolle offengelegt werden müssten. Wir hatten und haben Beweise, dass die Arbeitgeberseite diesen Menschen mit allen Mitteln – auch unserer Ansicht nach illegalen – das Leben schwer machen wird. So besteht für einen der Initiatoren seit nunmehr 3 Jahren eine unserer Meinung nach illegale Aussperrung von großen Teilen des örtlichen Taxiumsatzes in Form von Krankenfahrten und Versorgungsfahrten für den größten Auftraggeber der Würzburger Taxibranche, die Universitätsklinik Würzburg. [..]

Und wir haben gelernt, dass der Aufbau einer neuen Gewerkschaft auch in der freiheitlich-demokratischen Umgebung dieses Landes nur durch Tricks und besondere Vorsicht gelingen kann.

( Quelle: Website DG-Taxi)

Überregionale Vernetzung

Die Bremer Taxi-Gewerkschafter_innen berichten von vermehrten überregionalen Treffen und beginnender Koordination unter den Taxi-Aktivist_innen:

Bisherige Fernfahrten konnten schon ganz sinnvoll mit Treffen verbunden werden und wir werden die Zusammenarbeit ausbauen. Auch hier wie in Berlin, Lübeck, Kassel, Göttingen oder sonst wo haben die Kollegen die selben oder ähnlichen Probleme. Und sie wehren sich ebenso wie wir.

Die Industrial Workers of the World im deutschsprachigen Raum nehmen diese Entwicklung zur Selbstorganisation mit Interesse und Sympathie zur Kenntnis.

Weiter führende Links:

Gefunden auf und veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung auf: www.wobblies.de

Selbstorganisation und Solidarität der Taxifahrer – nicht nur in Bremen!

Gefunden auf der Internetpräsenz der
http://www.ig-bremer-taxifahrer.de

 

Die Arbeit unsere Gemeinschaft, die sich seit April diesen Jahres erfolgreich für die Rechte der Taxifahrer einsetzt, hat nicht nur weiterhin Zulauf aus dem eigenen Pflichtfahrgebiet. Bei derzeit ca. 225 Mitgliedern haben wir nicht nur doppelt so viele Mitglieder in 4 Monaten gewonnen, wie der Taxi-Ruf in 120 Jahren. Es gibt auch Anfragen und Hilferufe aus dem Bremer Umland.

Zudem sind sogar bereits mehrere Kontakte zu ähnlichen Organisationen von Taxifahrern und anderen Arbeitnehmerverbänden entstanden, die uns solidarische Grüße übermittelt und zu einer Zusammenarbeit eingeladen haben. An mehreren Orten im ganzen Land, so scheint es, stehen erstmals Taxifahrer auf, organisieren sich und treten für ihre Rechte ein. In Zukunft werden wir daher unsere Aktivitäten auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen richten, und gemeinsame Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit anstreben.

Unter diesen Akteuren ist eine Gruppe von Lübecker TaxifahrerInnen, die sich selbstständig organisiert hat und mit der Gewerkschaft ver.di zusammen arbeitet. Von Ihnen hat R. Schmidt kürzlich eine sehr pointierte und treffende Denkschrift über die unsäglichen Umstände in unserem Gewerbe verfasst, die ihr in Kürze auf unser Webseite werdet lesen und kommentieren [LINK zur Kommentarfunktion] können. Wir werden sicherlich noch mehr voneinander hören – eine Zusammenarbeit ist im Aufbau.

Sehr gefreut hat uns auch die Solidaritätsbekundung vom Daimler-Betriebsrat und der Hinweis auf die Initiative selbstorganisierter Arbeitnehmer „Bremen macht Feierabend“ [www.bremen-macht-feierabend.de]. Eine Seite, die auf Missstände insbesondere der Niedriglohnjobs aufmerksam macht. Eine umtriebige und gewerkschaftsübergreifende Truppe, die für Arbeitnehmer- und Arbeitslosenrechte eintritt.

Der Betriebsrat vom Taxi-Team Kassel [www.taxi-team-kassel-betriebsrat.alterweb.de/], organisiert bei ver.di und der „Industrial Workers of the World“ [http://www.iww.org/], hat eine ebenfalls überregionale Zusammenarbeit der Taxifahrer und mit den Gewerkschaften ver.di und dg-Taxi [www.dg-taxi.de] angeregt und auch diesem Vorschlag werden wir uns sicher nicht verschließen. Bremen ist keine Insel und unsere Erfolge in Bremen zeigen sehr gut, wie nützlich ein Zusammenschluss sein kann. Entsprechend nützlicher wird ein größerer Zusammenschluss.

Last but not least haben wir –natürlich- Kontakt zu den Jungs und Mädels vom „Hamburger Taxenverband“ HTV [http://hamburgertaxenverband.de]. Bisherige Fernfahrten konnten schon ganz sinnvoll mit Treffen verbunden werden und wir werden die Zusammenarbeit ausbauen. Auch hier wie in Berlin, Lübeck, Kassel, Göttingen oder sonst wo haben die Kollegen die selben oder ähnlichen Probleme. Und sie wehren sich ebenso wie wir.

Dies ist nur ein Ausschnitt aus unserer Bilanz der letzten 4 Monate – und mit unseren Kollegen aus ganz Deutschland werden wir weiter gemeinsam für unsere Rechte eintreten.

 Viele Grüße – Euer Vorstand.

Es bewegt sich also was!

Der Betriebsrat des Taxi-Teams-Kassel und die IWW-Wobblies Kassel hatten zuvor die Kolleginnen und Kollegen in Bremen angeschrieben und diesen eine Zusammenarbeit angeboten!

Stammtisch für Beschäftigte in der Altenpflege!

Stammtisch für Beschäftigte in der Altenpflege aus Kassel und Umgebung am Dienstag, den 11. September 2012 ab 20 Uhr im Restaurant Finkenherd

(Weserstr. 6a, Kassel-Wesertor, Wegbeschreibung unter www.finkenherd-kassel.de)

Seit einiger Zeit besteht in Kassel ein Stammtisch von Beschäftigten, die in unterschiedlichen Bereichen der ambulanten und stationären Pflege, der persönlichen Assistenz und der Tagespflege arbeiten. Die Treffen stellen den Rahmen für gegenseitigen Austausch über die Arbeitsbedingungen, mit denen wir in „unseren“ Betrieben konfrontiert sind. Ziel ist aber auch uns über den bloßen Austausch hinaus zu befähigen, Unzumutbarkeiten in unserem Arbeitsleben nicht mehr einfach hinnehmen zu müssen – je mehr wir sind, desto eher könnte uns das gelingen.

Bis auf weiteres sollen die Treffen am jeweils zweiten Dienstag eines jeden Monats stattfinden. Die weiteren Termine in diesem Jahr sind dann der 9.10., der 13.11. und der 4.12.

Beste Grüsse … und nicht ärgern lassen, kommen!

Kontaktmöglichkeit per e-mail: hier oder xyu22 @ web . de
Internet: http://altenpflegeks.blogsport.de

Die vergessene Geschichte des Organizing!

Wobblies und radikale deutsche Bierbrauer in den USA!

Joe Hill
Der Sänger, Wanderarbeiter und Dichter Joe Hill bezahlte seine gewerkschaftliche Tätigkeit am 19. Nov. 1915 mit dem Leben.

Seit 2006 wird der Begriff >>Organizing<< in Deutschland verstärkt verwendet. Sowohl einige linke Aktivisten als auch Gewerkschafter und PR-Strategen aus dem Umfeld von IG Metall und ver.di rezipieren unter diesem Label Konzepte amerikanischer Gewerkschaften wie der SEIU zur Mitgliedergewinnung, Kampagnen-Führung und organisatorischen Wiederbelebung

(siehe Rainer Berger + Malte Meyer in ak 565 und Eric Leiderer, IG Metall-Jugend in ak 567).

Man gewinnt seither den Eindruck, als sei das Organisieren in den USA erfunden worden und eine völlig neuartige Sache. Dem ist nicht so.

Vielmehr handelt es sich  – aus historischer Perspektive – um einen deutschen Export und Re-Import.

Die Rezeption der US-amerikanischen Arbeiterbewegung hat in Deutschland mindestens zwei  blinde Flecken. Der eine betrifft die radikale anarchistische Vorgeschichte der us-amerikanischen sozialistischen Bewegung.

Hier treffen wir erstaunlicher Weise verstärkt auf radikale deutsche Sozialisten und Gewerkschafter in Chicago, Milwaukee, St. Louis, Cincinnati, besonders in den Domänen der deutschen Emigranten, die damals die drei Bs genannt wurden: Beer, Butchers and Bakeries (Bier, Schlachter und Bäcker). Viele von ihnen waren, wie William Trautmann, durch Bismarcks Sozialistengesetze zur Emigration gezwungen worden.

Die Idee der One Big Union

 Big Bill Haywood auf der Gründungsvesammlung der IWW

Bill Haywood
Big Bill Haywood auf der Gründungsvesammlung der IWW

Der zweite blinde Fleck betrifft den Beginn der modernen Arbeiterbewegung, der in den USA mit der Gründung der IWW am 27. Juni 1905 datiert werden kann. Die Asche der historischen IWW-Rebellen und Rebellinnen ist auch hundert Jahre später offenbar immer noch zu heiß, um vom Umfeld der Profi-Gewerkschaften angefasst zu werden.

Der AK-Autor Peter Birke schreibt im Vorwort zu seinem Buch “Die Große Wut und die kleinen Schritte – Gewerkschaftliches Organizing zwischen Protest und Projekt”: “Die ersten Organizer waren vor vierzig Jahren in Chicago aktiv”. Er datiert den Beginn des Organizing demnach auf das Jahr 1936, das Coming-out des Congress of Industrial Organizations (CIO) und der United Automobil Workers (UAW) in der Motor-Town Detroit durch den epochalen Streik bei General Motors in Flynt. Zum gleichen Befund kommt das Büchlein „Organizing“ der IG-Metall-nahen  PR-Agentur Kornberger und Partner, die Saul Alinksky als Gründervater der Idee ansehen, der seine Karriere im Umfeld des CIO-Boss Lewis in den 1930ern begonnen hatte.

Der zweite Anlauf: Congress of Industrial Organisations

Leon Bates, seit 1935 legendärer Organizer der United Automobile Workers (CIO) im Jahr seiner Pensionierung 1964. Quelle: wikicommons

Leon Bates
Leon Bates, seit 1935 legendärer Organizer der United Automobile Workers (CIO) im Jahr seiner Pensionierung 1964. Quelle: wikicommons

Die IWW-Gründung 1905 beinhaltete aber bereits 30 Jahre vorher den ersten Versuch auf amerikanischem Boden, berufsständische und regionale Gewerkschaften zu einer überregionalen, transnationalen Organisation zu verbinden und in großem Stil nicht nach Berufsgruppen sondern nach Branchen und Verwertungsketten zu organisieren. Die Gründung des Congress of Industrial Organisations (CIO)  stellt im Jahr 1935 einen zweiten Anlauf in derselben Frage dar. Die CIO-Gründung wurde erst möglich durch Gesetze der Roosevelt-Ära, das Norris-LaGuardia-Gesetz von 1932 und den umfassenden Wagner-Act von 1935, die erstmals Gewerkschafter effektiv von Union-Busting-Maßnahmen des Unternehmerlagers und ihrer Handlanger schützten. Voran gegangen war eine massive Eruption von Arbeiterunruhe in den Jahren nach dem Crash von 1929 , wie Staughton Lynd schreibt. Erfolgreiche lokale Generalstreiks in Minneapolis, Toledo und San Francisco und ein beinahe erfolgreicher Streik in der Textilindustrie.

Die fortschrittlicheren Teile der amerikanischen Burgeoisie erkannten, dass eine weitgehend unorganisierte Arbeiterklasse schwerer zu händeln und gefährlicher wäre, als eine Gewerkschaftsbewegung, die eingebunden und domestiziert werden konnte und mäßigend bis bremsend auf die Arbeiterschaft einwirken musste, um Tarifverträge zu erzielen. So beinhalteten die Rechte aus dem Wagner Act, Pflichten wie das Unterzeichnen einer Anti-Streik-Klausel und die Durchsetzung derer Einhaltung gegenüber der Arbeiterschaft. Solche Bedingungen wurden von den Wobblies abgelehnt. Eine konsequente Haltung, die sie mit weitgehender Marginalisierung bezahlten.

Tatsächlich ging die Strategie im Falle des CIO letzendlich mustergültig auf. Als die Roosevelt-Ära endete und in der Ära McCarthy ein reaktionärer Umschwung erfolgte, war der CIO schon so korrumpiert, dass er nichts entgegen zu setzen hatte und sich an der Ausgrenzung und Berufsverboten gegen Kommunisten aktiv beteiligte.

Coming-Out: Der große Streik in Mc Kees Rocks

Coming out
The Rebel Girl: Elizabeth Gurley Flynn spricht. Ort unbekannt.

The Rebel Girl: Elizabeth Gurley Flynn spricht. Ort unbekannt.

Die ersten großen Früchte trugen die Aufbaubemühungen von lokalen IWW-Aktivisten und herum reisenden Organizer_innen 1909 in der Stahl-Industrie bei Pittsburgh, als die IWW einem Streik in der Waggonfabrik des Trust US Steel in McKees Rocks zum Durchbruch verhalf.  Es war der weltweit erste Streik in einer vollständig taylorisierten Fabrikation. 1913 gelang es den Wobblies bei Studebaker in Detroit den wahrscheinlich ersten Streik in der Automobil-Industrie zu organisieren. Etwa 6.000 Ungelernte legten damals die Arbeit nieder und marschierten aus der Fabrik.

Das IWW-Organizing funktionierte damals nach folgendem Muster. Einzelne Wobblies arbeiten in einem Betrieb. Vielleicht gibt es vor Ort eine kleine Ortsgruppe, über die sie sich unter einander und überregional austauscht. Wenn ein Betrieb sich für Wobblies als interessant heraus stellt, versuchen möglichst viele Mitglieder, dort unter zu kommen. Hauptindikator wären massive Unzufriedenheit der Arbeiterinnen, hohe Fluktuation, erste Formen von Selbstorganisation, unzumutbare Arbeitsbedingungen. Die US-Wobblies sprechen heutzutage davon, „einen Betrieb zu salzen“. Der Wobbly-Organizer ist ein Salzer („a salt“). Sobald die Phase der Gärung abgeschlossen ist und die gesalzene Unzufriedenheit sich in Konflikten entlädt, geht der Kampf an die Öffentlichkeit.  Nun schickt die IWW bekannte Redner_innen wie Big Bill Haywood, William Trautmann, Elizabeth Gurley Flynn in die Stadt. Die IWW-Presse stellt überregionale Öffentlichkeit bis ins bürgerlich-liberale Spektrum her. Es finden Solidaritätsaktionen in anderen Städten statt. Als besonders effektiv erwies es sich außerdem, Organizer_innen zu entsenden, die die Sprache der unterschiedlichen Migranten-Gruppen an den Fließbändern, Webstühlen und Werkbänken sprachen.

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IWW Mitglied Eugen V. Debs spricht in McKees Rocks

1909 reiste der deutsche Gewerkschafter Trautmann aus der IWW-Zentrale in Chicago nach McKees Rock, der familiäre Kontakte nach Pittsburgh hatte und die Stadt kannte. Ein Onkel hatte in Homestead gearbeitet und war an dem großen Streik von 1892 beteiligt; es gab Arbeiter in der Fabrik, die dem Deutschen Metallarbeiter Verband angehört hatten (Vorläufer der IG Metall); aus New York reisten italienische Wobblies an. Wer die große Gruppe osteuropäischer Arbeiter, viele kamen aus Ungarn, betreute, ist unbekannt. Im Gefolge der Redner und fremdsprachigen Organizer kamen Bohemiens, Hobos, Abenteurer, Radikale aus anderen Landesteilen angereist,Personen wie Joe Hill, die Support auf Straßen, Plätzen und in Kneipen organisierten und sich den Angriffen von Schlägertrupps und Polizeitruppen entgegen stellten, Lieder komponierten, Flugblätter verteilten und auf Seifenkisten agitierten. Der bekannteste dieser Streiks, die ab 1909 regelmäßig und in Wellen durch das Land brausten, fand vor 100 Jahren in der Textilindustrie von Lawrence Massachussetts statt. Er ging als „Bread and Roses-Streik” in die Geschichte ein.

“Jammert nicht – Organisiert!”

Viel eher als Saul Alinsky böte sich Joe Hill als Ikone des Organizing an (falls soetwas überhaupt sinnvoll erscheinen mag); das Requiem „I dreamed I saw Joe Hill l ast night”, welches am 10. Jahrestag seines Todes erschien, ist eine Ode auf den herumschweifenden Organizer, dessen Geist weiter lebt und Arbeiter_innen inspiriert. Der Wanderarbeiter, Liedermacher und IWW-Agitator hatte am 19. November 1915 in einem Gefängnishof in Salt Lake City vor seinem Erschießungskommando, bevor der Befehl zu Feuern kam, gerufen: „Don’t mourn – Organize!“ („Jammert nicht – Organisiert!“).

Joe Hill war in den bigotten Mormonenstaat Utah gereist, um Arbeiter im Streik gegen dortige Kupfer-Minen-Barone zu unterstützen. Sein Todesurteil war nichts anderes als ein Frame-up, eine Verurteilung anhand gezielt fingierter Indizien, die typisch amerikanische Form des Rechtsnihilismus, der 1887 schon die deutschen Anarchisten von Chicago zum Opfer gefallen waren, später Sacco und Vanzetti (1927) sowie das Ehepaar Rosenberg (1953) – und  um ein Haar auch Abu Mumia Jamal. Das heißt: Aktivisten werden in hochzeiten politischer Verfolgung und Hysterie mit konstruierten Vorwürfen, die sich vor Gericht als unhaltbar erweisen, gezielt zur Strecke gebracht.

Die erste Betriebsbesetzung der USA: Cincinnatti 1884

Trautmann & Haywood
Zwei gestandene Gewerkschafter: William Trautmann (Vereinigte Brauerei-Gewerkschaft) und Big Bill Haywood (Western Federation of Miners) – vlnr.

Gehen wir noch weiter zurück so landen wir im Jahre 1884 in Cincinnati am Ohio-River. Dort fand der erste Stay-in-Strike der USA statt. Auf deutsch: eine Betriebsbesetzung.v Die Gewerkschafter hatten sich mit Proviant auf eine mehrwöchige Belagerung eingestellt, was auch dadurch begünstigt wurde, dass sie wie Leibeigene in einem „Schalander“ auf dem Betreibsgelände wohnten, um stets auf Zuruf verfügbar zu sein. Der Legende nach soll ihr Kampf auch deshalb erfolgreich gewesen sein, weil sie gefüllte Bierfässer als Barrikaden verwendeten. Als die Bundestruppen das Feuer eröffneten – schließlich ging es um die Freiheit des Privatbesitzes – , rann Gerstensaft auf den Asphalt. Ein Anblick, welcher die Jackson-Brauerei (hier ein Foto) weitaus mehr schmerzte, als das Blut von Arbeitern. Die deutschsprachige Vereinigte Brauerei-Gewerkschaft war die erste, die in den USA industriell organisierte. In ihr zusammengeschlossen waren neben Brauern, Fassbindern und anderen am Produktionsprozess beteiligten Gewerken auch die Fahrer und darüber hinaus, Wirte und Bedienungen in Kneipen. Durch die Einbindung der Fahrer konnte die Gewerkschaft eine Brauerei ebenso empfindlich treffen wie durch die Wirte und Bedienungen. Die deutschen Bierbrauer führten sehr erfolgreiche Boykott-Kampagnen gegen Biere-Marken gewerkschaftsfeindlicher Unternehmen durch. Zeitweilig tranken amerikanische Arbeiter_innen nur Bier mit offiziellem Gewerkschafts-Label, das sich die Unternehmer durch faire Arbeitsbedingungen und Tarifverträge verdienen mussten. Noch heute ziert ein solches Label übrigens die Dosen von Pabst Blue Ribbon, das Amerikareisenden hiermit zum Genuss empfohlen sei.

Im Juni 2012 kommen zwei Salzer aus Minneapolis / St.Paul nach Deutschland, um deutschsprachige Wobblies und befreundete Syndikalist_innen in die aktuellen und weiter entwickelten Techniken des Wobbly-Organizing einzuweisen. Micah Buckley-Farley und Eric Foreman haben ihr Gesellenstück in der Sandwich-Kette Jimmy John’s abgeliefert, wo sie in zweijähriger Aufbauarbeit die Belegschaften von 9 Filialen in einem weitgehend gewerkschaftsfreien Umfeld gewinnen konnten. Sie führen im Industrial Organizing Komitee der IWW regelmäßige Schulungen durch, um aus möglichst jedem Wobbly einen Organizer zu machen. Eine Trennung von Organizern und Arbeitern gibt es bei der IWW nicht. Wobblies lassen den Boss für den Lebensunterhalt der Organizer bezahlen. Man nennt es auch Lohnarbeit.

Heiner Stuhlfauth

[ Der Beitrag erschien in gekürzter Form unter dem Titel „Erinnerungen ans Humpenproletariat“ in der Zeitung analyse + kritik Nr. 572, 15. Juni 2012. ]

Mehr Infos zur IWW Jimmy John’s Workers Union: http://organize.wobblies.de

Mehr zur IWW-Geschichte, Frauen, US-Arbeiterbewegung und Organizing: Lucy Parsons – gefährlicher als 1000 Randalierer

Sternengucker

 

 

3 Minuten Solidarität für Göttinger Vertrauensleute bei Netto!

Liebe Kollegin, lieber Kollege,

in Göttingen wurden seit Juni 2012 4 Filialen der EDEKA-Tochter Netto quasi über Nacht geschlossen – es steht der Verdacht im Raum, die Schließungen könnten in Verbindung mit der erhöhten gewerkschaftlichen Aktivität dort beschäftigter Kolleg/innen stehen. Sozial nicht zumutbare Versetzungen und Kündigungen sind nicht ausgeschlossen.

Hier kannst du lesen,

1. wer diese bundesweit einzigen ver.di Vertrauensleute im Discounterbereich sind und wofür sie sich stark machen: http://www.neulich-bei-netto.de/98
2. welche engagierten Mitmenschen u.A. Bundestagsabgeordneten, Landtags und Kommunalpolitiker/innen, Wissenschaftler/innen und Kolleg/innen sich bereits für ihre Sache einsetzen und Gesicht zeigen: http://www.neulich-bei-netto.de/88
3. was die Forderungen der ver.di Aktiven bei Netto und ihrer Unterstützer/innen gegenüber Netto sind http://www.neulich-bei-netto.de/208

Die Netto Geschäftsleitung ist am Sonntag, den 22 .Juli von einer Unterstützungs- und Mitgliederkonferenz in Göttingen aufgefordert worden, bis zum 6. August mit ver.di in Verhandlungen zu treten.

Trotz und wegen ihrer Arbeitsbedingungen und etlicher Schikanen durch den Arbeitgeber: die ver.di Kolleg/innen sagen: jetzt erst Recht!

Wir sind daher gestern mit einem Blog gestartet auf dem die Kampagne bekannt gemacht wird und wo du konkrete Solidarität zeigen kannst: www.neulich-bei-netto.de

Unterstützungsaufruf für Eilige:

Unterschreibe die online –Petition an das Netto- und EDEKA-Management: http://www.neulich-bei-netto.de/154
Schicke diesen Aufruf an engagierte Gewerkschaftskolleg/innen weiter.

Unterstützungsaufruf für Solidarische mit ein wenig mehr Zeit:

Unterschreibe die online –Petition an das Netto- und EDEKA-Management: http://www.neulich-bei-netto.de/154
Klicke auf „gefällt mir“ unter https://www.facebook.com/NeulichBeiNetto
Beteilige dich an der Aktion „Gesicht zeigen“, http://www.neulich-bei-netto.de/88%3A1
Schicke diesen Aufruf Mail an engagierte Gewerkschaftskolleg/innen weiter.

Unterstützungsaufruf für ver.di Gremien und Betriebsräte

Schreibt eine Solidaritätserklärung wie zum Beispiel hier: http://www.neulich-bei-netto.de/163 und schickt sie an katharina [dot] wesenick [at] verdi [dot] de
Beteiligt Euch mit einem Foto an der Aktion „Gesicht zeigen http://www.neulich-bei-netto.de/88%3A1
Schickt diesen Aufruf an engagierte Gewerkschaftskolleg/innen weiter.

Klicke auf „gefällt mir“ unter https://www.facebook.com/NeulichBeiNetto
Im Namen aller ver.di Aktiven: Ein herzliches Dankeschön für dein Engagement schon im Voraus!

Katharina Wesenick
———————————————–

ver.di Gewerkschaftssekretärin Handel
Groner-Tor-Str. 32
37073 Göttingen
Fon: 0551-54850 0
Fax: +49(0)1805 83734325243
www.aktiv-gegen-diskriminierung.info